Serie: Stärken stärken ~ Nr. 16 „Vergebungsbereitschaft“

Für das Stärkenportrait „Vergebungsbereitschaft“ habe ich bislang am längsten gebraucht. Nachdem ich mich in das Thema vertieft habe, wusste ich zunächst nicht, was ich nun in Bezug auf „Stärken stärken“ dazu schreibe. – Denn pauschal einfach noch mehr vergeben, ist aus meiner Sicht nicht der richtige Weg. Sinnvoller ist es, das Thema bewusst unter die Lupe zu nehmen, um zu einer differenzierten, eigenen Einschätzung zu kommen. 

Doch der Reihe nach: Ausgangspunkt meiner Serie ist ja der Stärken-stärken-Ansatz der Positiven Psychologie. Vertreter dieser Richtung haben 24 sogenannte Signaturstärken identifiziert, die nachhaltig glücksverstärkend wirken. Vergebungsbereitschaft ist eine davon. Wo diese bei Ihnen angesiedelt ist, können Sie mithilfe des kostenlosen Signaturstärken-Tests herausfinden.

Wenn Vergebungsbereitschaft unter Ihren Top 5 ist, wird empfohlen, diese noch aktiver zu leben, um damit nachhaltig sein Glücksniveau zu heben. Im Online-Testergebnis steht dazu:   

Vergebungsbereitschaft: Sie können anderen wirklich verzeihen, wenn sie einen Fehler gemacht haben. Sie geben anderen immer eine zweite Chance. Ihr Leitprinzip ist Gnade und nicht Rache.“

Was ist Vergebungsbereitschaft genau?

Wenn wir bereit sind, etwas zu vergeben, ist zuvor ja immer etwas geschehen, das wir als negativ bewertet und empfunden haben. Aufgrund des Ereignisses passte dann etwas nicht mehr oder es ging etwas kaputt, im schlimmsten Fall wurde man verletzt oder gar jemand getötet. – Hier sehen Sie schon die Bandbreite und Tragweite, mit der Vergebungsbereitschaft einhergeht. 

Wenn es um Vergebung geht, spielen immer Fehler oder schwierige Vorkommnisse eine Rolle gefolgt von unangenehmen Emotionen wie Enttäuschung, Wut und Kränkung bis hin zum Wunsch nach Rache. Oftmals wird dabei auch Schuld zugewiesen. Wer vergibt, spricht von dieser frei und lässt das Thema los. Ein Synonym für ‚Vergebung‘ ist das Wort ‚Verzeihung“. Damit eng verwandte Begriffe sind Entschuldigung, Versöhnung, Großmut oder Nachsicht. Vergeben können wir anderen und uns selbst.

Und wie sehen Sie das?

Wenn Sie das Wort mal googeln, werden Sie feststellen, dass es besonders oft im spirituellen und religiösen Kontext gebraucht wird, beispielsweise in Aussagen wie „jeder Mensch ist im Grunde seines Wesens gut“ oder „jeder hat sein Schicksal selbst gewählt“ oder auch das oft im christlichen Rahmen zitierte „hat er mich auf die eine Wange geschlagen, halte ich ihm auch die andere hin“. – Vielleicht können Sie nun nachempfinden, warum ich so lange für den Text brauchte. Denn hier zeigt sich, dass es bei Vergebungsbereitschaft um viel mehr geht, als mal Nachsicht wegen falsch investiertem Geld zu zeigen oder mal einen kleinen Fehltritt zu entschuldigen.

Hier geht es auch um mutwillig zugefügtes Unheil oder Schicksalsschläge sowie die Frage, wie man sich das erklärt und für sich bewertet. Damit bewegen wir uns auf dem Spielfeld unterschiedlicher Weltanschauungen und Lebensphilosophien. Wer sich mit den Erkenntnissen und Schlußfolgerungen der modernen Hirnforschung beschäftigt, dem könnten sich dazu möglicherweise noch ein paar ganz neue Fragen stellen. – Sehr spannend! Leider ist das Thema jedoch viel zu groß, um hinreichend in dieser Serie diskutiert werden zu können.

Daher kann ich Sie nur einladen, sich mal ausgiebig damit auseinanderzusetzen, daszu kann der Beitrag anregen. Ich mache mal weiter mit meiner für die Serie gewählten Struktur und frage: 

Was macht Menschen mit dieser Stärke aus?

Eigenschaften und Fähigkeiten von vergebungsbereiten Menschen können sein: 

  • innere Stärke, Klarheit und Selbstbestimmung, 
  • Blick für die Wachstums- und Entwicklungschancen, die in Fehlern stecken, 
  • die gesunde Einsicht, dass man Dinge nicht ungeschehen machen kann, 
  • Hoffnung und der Blick nach vorn,
  • eine hohe Fehlertoleranz, 
  • nicht nachtragend sein,
  • das Anerkennen, das wir nicht perfekt sind.

 

manchmal jedoch auch
 
  • eine hohe, manchmal ungesunde Duldungs- und Leidensfähigkeit,
  • nicht Loslassen können,
  • Konfliktscheue, nämlich dann, wenn um des lieben Friedens willen verziehen wird,
  • überhöhter Glaube an das Gute im Menschen.

Sie sehen: Hier kommt es sehr auf das eigene Weltbild an.

Ich gehöre nicht zu den Vertretern von „es gibt keine Schuld“ oder „hinter allem steckt eine gute Absicht“. Vergebung und Nachsicht finde ich grundlegend sehr wichtig, denn es befreit. Und bei „kleineren“ Fehlern oder Vorkommnissen ist es absolut sinnvoll, das baldmöglichst zu tun. Doch bei berechnender Manipulation, schädigendem Missbrauch und jeder Form von Gewalt kann es aus meiner Sicht nicht um das gehen, was man gemeinhin mit Vergebung bezeichnet. Und es muss schon gar nicht zur Versöhnung oder einer „zweite Chance“ führen.

Ich halte es immer für wichtig, das Geschehene zu akzeptieren, aber eben auch gesunde Grenzen zu setzen und sich wo nötig abzuwenden, um dann für Heilung und die bestmögliche Verarbeitung zu sorgen, damit man das Geschehene letztlich loslassen kann. Aus eigener Erfahrung weiß ich, welches Lern-und Wachtsumspotential im Schwierigen steckt und wie heilsam Vergebung und Nachsicht sein können. Und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich alles bisher dahingehend Erlebte auch vergeben konnte. Doch es gibt Fälle, da ist das vielleicht nie oder eben ganz schwer möglich und mit einem langwierigen Prozess verbunden.

Das respektiere ich, denn ich bin überzeugt, dass sich das mit dem Verzeihen an mancher Stelle leichter sagt oder rät, als es für Betroffene einsichtig und umsetzbar ist. Das ist für Menschen, die eine hohe Vergebungsbereitschaft haben, vielleicht interessant zu bedenken.  

Nutzen & Vorteile

  • Es erlöst und gibt damit wieder innere Ruhe und Kraft.
  • Wer vergibt, entlässt sich aus der Opferrolle und gewinnt Selbstbestimmung und Macht über das eigene Leben zurück.
  • Da man keine Energie mehr auf das Vergangene verwendet, hat man mehr davon für das Hier und Jetzt und für das Kommende.
  • Wer nicht vergibt oder nicht loslassen kann, boykottiert und behindert sich immer auch selbst. Tut man das nicht oder hört damit auf, verhindert oder stoppt man auch Selbstverletzung und Selbstbegrenzung.
  • Vergebungsbereite sind gelassener.
  • Wer bereit ist, Fehler zu verzeihen, ist oft auch mutiger und offener für Neues. Das führt zu Fortschritt und Erfolg sowie einem bunteren Leben.

Sich mit der eigenen Vergebungsbereitschaft und dem dahinterstehenden Weltbild mal bewusst und intensiv auseinanderzusetzen, trägt sehr zu innerer Klarheit bei und verhilft zu einer eigenen Meinung dazu. Im Sinne des Stärken-stärken-Ansatzes geht es nun für alle Vergebungsstarken darum, diese Stärke möglichst intensiv zu leben.

Vergebungsbereitschaft im Berufsleben

An dieser Stelle nenne ich ja gern zunächst prädestinierte Berufe, in denen die Stärke zum tragen kommt. Auf der Hand liegt, dass jeder, der im Dienste der Kirche oder einer spirituellen Organisation steht, eine hohe Vergebungsbereitschaft vor allem auch gegenüber anderen haben sollte, da sich dies ja, zumindest meistens, bereits in den jeweiligen Philosophien und Werten widerspiegelt. Und ganz sicher ist die Fähigkeit zu Verzeihen insbesondere auch da gefragt, wo man mit gewaltbereiten Menschen zu tun hat. Das ist im Polizeidienst und Strafvollzug der Fall, vielerorts aber auch im therapeutischen Bereich. 

In Bezug auf die Nachsicht bei Fehlern, die beim Lernen und bei Entwicklungen nun einmal passieren, ist Vergebungsbereitschaft natürlich allerorts gefragt, vor allem bei Führungskräften, Lehrenden und Menschen, die andere betreuen.

Wenn Sie über diese Stärke verfügen, werden Sie Fehlertoleranz, Großmut und Einsicht sicher bereits leben. Stärken können Sie die Stärke vor allem dadurch, wenn Sie das offen zeigen und somit als Vorbild auf andere wirken. Menschen lernen voneinander. Missionieren oder aufzwingen lässt sich Vergebungsbereitschaft nicht, vorleben aber schon. 

Vergebungsbereitschaft im Privatleben

Im Privaten fällt Vielen Vergebung noch viel schwerer als im Berufsleben. Die meisten rechnen in unserer heutigen Zeit schon damit, dass in Wirtschaftsunternehmen, Politik & Co berechnende und vor allem auf ihren eigenen Vorteil bedachte Menschen unterwegs sind. Das scheint normal zu sein.

Dafür erhoffen und wünschen wir uns im trauten Familien- und Freundeskreise umso mehr Werte wie Loyalität, Rücksichtnahme, bedingungslose Liebe und gegenseitige Fürsorge. Glücklicherweise bekommen wir das ja auch oft, aber eben nicht immer und bei jedem.

Auch im Privatleben gilt es daher zunächst einmal seine Einstellung zu Fehlern und enttäuschenden bis schmerzlichen Vorkommnissen zu hinterfragen, um zu einem differenzierten Bild bezüglich seiner eigenen Einstellungen und Bewertungen zu kommen. Nicht außer acht lassen dürfen wir dabei die Erwartungen, die wir an uns und andere haben. Selbstklärende Fragen dahingehend können sein:

  • Welche Erwartungen habe ich an andere?
  • Welche Erwartungen habe ich an mich selbst?
  • Was sind meine Werte?
  • Was sind die Werte der anderen?
  • Was deklariere ich als „verzeihbar“? 
  • Was deklariere ich als nicht vergebungswürdig oder -fähig? 

Gleiche Fragen können Sie sich in Bezug aufs Berufsleben selbstverständlich auch stellen. Und Achtung: Das sind weitgehende und tiefgreifende Überlegungen!

Achten Sie auch mal darauf, ob Sie mit gleichem Maß messen. So mancher hegt an Menschen, die ihm nahe stehen nämlich viel höhere Erwartungen als an die, die ihm nicht so nahe stehen. Und das ist durchaus verständlich. Manchmal sind diese jedoch so hoch, dass unsere Lieben sie beim besten Willen nicht erfüllen können.

In unseren streckenweise durchaus ungemütlichen Zeiten kann es gut der Fall sein, dass wir zu Hause oder im Freundeskreis das kompensiert haben wollen, was uns in anderen Lebensbereichen fehlt. Das mal zu zu hinterfragen oder dahingehend das Gespräch mit uns nahe stehenden Personen zu suchen, gehört schon zu den weiterführenden „Stärken-stärkenden“ Taten. – Haben Sie das schonmal überlegt und gemacht?

Reflexionsfragen zur Stärke „Vergebungsbereitschaft“

Wenn Sie diese Stärke aktiver leben wollen, können Sie sich darüber hinaus noch fragen:

  • Was bedeutet die Stärke „Vergebungsbereitschaft“ für mich?
  • Was habe ich wem in meinem Leben schon alles vergeben?
  • Was nicht?
  • Welche Vorteile bringt mir diese Stärke in meinem Leben?
  • Wie kann ich diese Stärke mit meinen anderen Kernstärken verbinden und aktiv leben? (Dafür müssen Sie den Test der Positiven Psychologie gemacht haben.)
  • Was konkret will ich nun diesbezüglich angehen?

Im nächsten Stärkenportrait geht es um „Vorsicht“. Gehört diese auch zu Ihren Stärken? Oder wollen Sie wissen, was es damit auf sich hat? – Dann:

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 P.S. Alle bisherigen Beiträge rund um das Thema Stärken finden Sie hier.

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