„Nein! Das passt nicht!“ – Grenzen setzen – Teil 1

Das Telefon klingelt. Sie gehen ran. „Ich bin es.“ Sie verdrehen die Augen, bereiten sich unwillig auf ein längeres Gespräch vor, wo Sie doch eigentlich gerade eine wichtige Aufgabe anpacken wollten. „Blablabla“ tönt es aus der Leitung. Sie werden unruhig, rutschen ungeduldig auf Ihrem Stuhl herum und sagen hin und wieder „ah ja“ oder „hm“. Sie fangen an mit dem Telefon am Ohr durchs Zimmer zu laufen. Versuchen irgendwas nebenbei zu erledigen, damit die Zeit nicht ganz für umsonst verstreicht. Irgendwann sagen Sie: „So, jetzt muss ich aber mal wieder was tun“. Am anderen Ende kommt: „Ja klar, ich will dich auch gar nicht länger aufhalten, aber ganz schnell noch…“. Blablabla wird weitergesabbelt. Nach dem Telefonat sind Sie genervt, fühlen sich benutzt, sind ausgelaugt.

Kennen Sie das?

Vielleicht schneit auch dauernd Ihr Chef oder ein Kollege ungefragt bei Ihnen rein und hält Sie von dem ab, was Sie eigentlich tun wollen. Oder Sie lassen sich von einem geliebten Menschen oder Freund  zu etwas hinreißen, was Ihnen im Grunde gerade so gar nicht passt. Hören Sie den Ausführungen der langweiligen Nachbarin aus Höflichkeit zu? Oder machen Sie die Meinungsumfrage mit, obwohl Sie das Thema überhaupt nicht interessiert, weil Sie dem netten Mann am Telefon nichts abschlagen können?

Wenn Sie sagen: „Kann mir nicht passieren!“ dann brauchen Sie nicht weiterzulesen. Dann können Sie vermutlich „Nein“ sagen und Ihre Grenzen ziehen. Oder genießen Sie die Vorteile, die Ja-sagen mit sich bringt?

Die Vorteile des Ja-Sagens

Sich trotz innerem Widerstand und Bauchgrummeln immer wieder auf etwas einzulassen, beschert auch Vorteile, denn

  • ein Mensch, der immer ein offenes Ohr für andere hat und hilfsbereit ist, wird gern und oft kontaktiert. Man fühlt sich beliebt.
  • dann eckt man weniger an und hat seltener Streit oder Konflikte mit anderen, läuft also nicht Gefahr, als egoistisch, faul oder eigennützig abgestempelt zu werden.
  • stattdessen kann man sich als selbstlosen, netten Zeitgenossen wähnen, als Helfer, vielleicht gar Retter.
  • zumindest in Bezug auf andere muss man sich nicht mit einem schlechten Gewissen oder Schuldgefühlen herumschlagen.
  • man hat ein gutes Argument vor sich selbst, die Schuld für das nicht selbst gestaltete Leben auf andere abzuwälzen, braucht die Verantwortung für seine Entscheidungen nicht zu tragen.

Übrigens sind nicht alle Ja-Sager liebenswürdige Zeitgenossen, manche sind dabei ziemlich berechnend. Denn wer oft mal „Ja“ sagt und hilft, kann auch

  • anderen schon mal ein schlechtes Gewissen einreden, schließlich tut man ja auch so viel für sie und/oder die Menschheit.
  • den Spieß umdrehen und zurückfordern. So sieht es zumindest eine Zeitlang eher nach Geben & Nehmen, statt nach purer Manipulation aus.

Von den Berechnenden mal abgesehen, haben sich viele die Gründe, warum sie immer wieder „Ja“ sagen, obwohl sie lieber „Nein“ sagen würden, nicht glasklar bewusst gemacht. Daher ist es zunächst sinnvoll, zu reflektieren, was einen eigentlich abhält, die Grenzen so zu setzen, wie der innere Sensor es immer wieder zuverlässig meldet. Und welche Vorteile es hat bzw. welchen Preis man zahlt, wenn man eigensinniger und selbstverantwortlicher handelt.  

Warum sagen Sie nicht „Nein“?

Die Wurzeln für unser Denken und unsere Überzeugungen sind in der Erziehung begründet und diese prägt uns nun Mal mehr, als uns manchmal lieb ist. Wir haben gelernt und verinnerlicht, das man sich so und so verhält und handeln entsprechend. Wenn wir so erzogen wurden, das es sich gehört, immer zu helfen und das es „schlecht“ ist, etwas abzulehnen und für sich einzustehen, sagen wir über das balancierte Maß hinaus „Ja“.

Wir haben also auf der einen Seite bestimmte Denk- und Verhaltensmuster. Auf der anderen Seite eine Art innerern Selbstfürsorge- und Fairness-Sensor der Alarm schlägt, wenn wir uns ausgenutzt fühlen oder jemand unsere Grenzen überschreitet. Wenn wir diesen übergehen, statt nach einer stimmigen Lösung für uns zu suchen, kommt es zu inneren Konflikten. 

Doch dem sind Sie nicht ausgeliefert. Was Sie sich bewusst machen können Sie ändern. Geduldig und Schritt für Schritt. In Sachen Nein-Sagen bietet sich an, am eigenen Selbstwertgefühl zu arbeiten und sich für verschiedene Situationen passende Grenzensetz-Strategien bereitzulegen.

In welchen Situationen und bei welchen Personen? 

Sich vor Augen zu führen, in welchen konkreten Situationen und bei welchen Personen Sie nicht Nein sagen oder Ihre Grenzen verletzen lassen, ist wichtig. Denn das „Nicht-nein-Sagen“ ist nie ein generelles Verhalten. Hier kann man es, da nicht. Vielleicht fühlen Sie sich beispielsweise insbesondere vom Chef oder einem Kunden abhängig und stehen ihnen deshalb immer wieder zu viel zu.

Manchmal sind es aber auch die Menschen, die wir lieben, die uns – bewusst oder unbewusst – immer wieder Dinge abverlangen und ausnutzen. Gerade hier lassen sich Viele unter dem Deckmäntelchen der selbstlosen Liebe oder mit dem Druckmittel „Liebesentzug“ zu Zugeständnissen über das gesunde Maß hinaus hinreißen.

Schauen Sie also zunächst genau hin und analysieren Sie, bei wem oder wann Sie sich so verhalten. Das erleichtert gleich ungemein, denn Sie haben es nicht mehr mit einem scheinbar nicht zu bewältigenden Gesamtmakel zu tun, sondern mit einzelnen Menschen in bestimmten, nun greifbaren Situationen.

Was genau befürchten Sie?

Wenn Sie das wissen, sollten Sie sich damit auseinandersetzen, was Sie im jeweils konkreten Fall befürchten. Haben Sie Angst vor Zurückweisung oder vor einem Verlust? Dass man schlecht über Sie redet? Oder eher vor den eigenen Schuldgefühlen? Wollen Sie nichts verpassen? Oder rechnen Sie mit aggressiven Reaktionen?

Hinter dem Angstgefühl stecken verschiedene Gespenster, die bei nüchterner Tageslichtbetrachtung oft gar nicht mehr so erschreckend sind. 

Wie realistisch ist das, was Sie befürchten tatsächlich?

Oft malen wir uns die schlimmsten Folgen aus, die nie eintreten. Wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Problem nicht objektiv, aus einer Art Vogelperspektive betrachten zu können, sollten Sie Ihre Bedenken mit jemandem besprechen, den Sie mögen und für abgrenzungsstark halten. Das kann Ihnen helfen, Ihre Befürchtungen zu relativieren und bringt nebenbei manch hilfreichen Tipp mit sich.

Was versagen Sie sich?  

Auf jeden Fall sollten Sie immer auch die Gegenrechnung aufmachen: Was ist, wenn Sie in dieser Situation / bei diesem Menschen weiter alles machen wie bisher? Welche Opfer bringen Sie? Wie viele innere Konflikte müssen Sie mit sich selbst deshalb austragen? Wie viele schöne Momente vergeben Sie sich, weil Sie sich über sich selbst ärgern oder etwas tun, worauf Sie so gar keinen Bock haben? Wird Ihnen vielleicht wegen des Chefs Ihr geliebter Job irgendwann zuwider? Kommen Sie nicht zum Wesentlichen, weil jemand Sie ständig abhält und für sich beansprucht?

Wie hoch ist der Preis den Sie langfristig zahlen?  

Immer zu schlucken, was andere einem antragen, bringt unweigerlich auf Dauer auch gesundheitliche Probleme mit sich. Und wie sieht es mit Ihrer Erfüllung, Ihrem Glück aus?  – Sie haben ein Recht darauf! Leben Sie also lieber eigensinniger und sagen Sie „Nein!“.

Nein, das tu ich nicht mehr!

In Teil 2 des Beitrages finden Sie konkrete Vorschläge, wie Sie auf verschiedene Weise „Nein“ sagen können. Denn es gibt diverse Strategien und mehr oder weniger scharfe Formulierungen. Um entscheiden zu können, wie Sie dann vorgehen, empfehle ich Ihnen, sich mit den aufgeworfenen Fragen des hiesigen Beitrages bewusst auseinanderzusetzen.

Nehmen Sie sich dafür eine halbe Stunde Zeit sowie Stift und Zettel  und fragen Sie sich:

  • Wo sehe ich die generellen Ursachen und Gründe meines Nicht-nein-Sagen-Könnes?
  • In welchen Situationen und bei welchen Personen kann ich meine Grenzen nicht so ziehen, wie ich es gerne möchte?
  • Was genau befürchte ich in der jeweiligen Situation bzw. bei der jeweiligen Person?
  • Wie realistisch ist das Eintreten meiner Befürchtungen wirklich?
  • Was versage ich mir?
  • Welchen Preis zahle ich mittel- und langfristig, wenn ich mich weiter so verhalte wie bisher?

Wenn Sie möchten, können Sie sich den Kick-Bogen „Tu ich nicht mehr“ ausdrucken und Ihre Beschlüsse aufschreiben: Das tue ich nicht mehr! Hier sage ich nein!

Diese Notizen sind ein guter Ausgangspunkt für Teil 2 dieses Beitrages und das darauf folgende Umsetzen Ihrer Grenzensetz-Strategien. Wenn Sie den zweiten Teil nicht verpassen wollen, einfach meinen kostenlosen Newsletter abonnieren

Bis dahin wünsche ich Ihnen viele gute Erkenntnisse beim Reflektieren. 

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